Atonalität, in der Musik, das Fehlen funktionaler Harmonie als primäres Strukturelement. Das Wiederauftauchen rein melodisch-rhythmischer Kräfte als wesentliche Determinanten der musikalischen Form in den expressionistischen Werken Arnold Schönbergs und seiner Schule vor dem Ersten Weltkrieg war eine logische, vielleicht unvermeidliche Folge der Schwächung tonaler Zentren in der postromantischen Musik des 19. Zur Zeit von Richard Wagners Tristan und Isolde zum Beispiel hatte die Betonung der expressiven Chromatik dazu geführt, dass aufeinanderfolgende Akkorde stärker miteinander in Beziehung standen als zu einer gemeinsamen Tonika, die durch intermittierende harmonische Kadenzen fest verankert war. Schließlich löste die chromatische Skala von 12 äquidistanten Halbtönen die diatonische Skala, den untrennbaren Partner der funktionalen Harmonie, in dem Maße ab, in dem melodisch-rhythmische Spannungen und Auflösungen die harmonischen Kadenzen und Modulationen ersetzten, die die Struktur der westlichen Musik seit Jahrhunderten bestimmt hatten.
Obwohl die Atonalität für relativ kurze musikalische Äußerungen von großer rhetorischer oder emotionaler Intensität gut geeignet war, erwies sie sich als unfähig, große musikalische Ereignisse aufrechtzuerhalten. Um dieses ärgerliche Dilemma zu lösen, entwickelte Schönberg die Methode des Komponierens mit 12 nur aufeinander bezogenen Tönen, eine Methode, die auf rein polyphonen Überlegungen beruhte, wie sie in der Klassik und Romantik weitgehend aufgegeben worden waren, aber aus dem gleichen Grund typisch für vortonale und frühe tonale Musik.In der Praxis ist die Atonalität einer Komposition relativ, denn ein atonales Werk kann fragmentarische Passagen enthalten, in denen tonale Zentren zu existieren scheinen. Schönbergs Liederzyklus Pierrot Lunaire (1912) und Alban Bergs Oper Wozzeck (1925) sind typische Beispiele für atonale Werke. Siehe auch Chromatik; Polytonalität; Zwölftonmusik.